Musik studieren oder dem Willen der Eltern folgen?

Als ich mit der weiterführenden Schule SMP fertig war musste ich zurück nach Waikabubak ziehen, weil ich an der christlichen weiterführenden Schule (SMU) dort weiterlernen wollte. 3 Jahre habe ich deshalb bei meiner Oma mütterlicherseits gelebt.

Je länger ich in Waikabubak war, desto mehr hatte ich Aktivitäten, die mit Musik zu tun hatten. Jeden Sonntag sang und spielte ich in verschiedenen Kirchen, machte bei Wettbewerben und Musikfestivals mit – nicht nur für christliche Lieder, sondern auch für indonesische Volkslieder und traditionelle Lieder, um die Kultur der Insel Sumba zu repräsentieren.

Als ich in Klasse 1 der SMU war (16 Jahre alt) fing ich an, selbst christliche Lieder zu schreiben und lernte immer weiter das Gitarre spielen. Durch das viele Musizieren bei verschiedenen Anlässen lernte ich automatisch immer mehr neue Akkorde und verbesserte mein Spielen.

3 Jahre lang durfte ich als einzige weibliche Gitarristin die Vocal Group der Schule begleiten – worauf ich sehr stolz war. Wir wurden auch stolze Sieger bei einem Wettbewerb von Vocal Groups der Region in Ost-Sumba.

Damals hatte ich noch nie Musikunterricht – konnte also noch keinerlei Noten lesen und habe immer nach dem Gehör gespielt – aber das hat mir nie die Motivation genommen, weiter Musik zu lernen.

Ich träumte davon, später nach der Schule Musik zu studieren (das war meine allererste Wahl) obwohl mir völlig klar war, dass mein Vater damit nie einverstanden wäre. Zweite Wahl wäre Jura gewesen und die dritte Wahl Anthropologie. Ich hatte schon davon gehört, dass es in Denpasar auf der Insel Bali eine Hochschule für Musik gab und hatte Hoffnungen, dort studieren zu können – ich wusste aber noch nichts Genaues über die Hochschule und über die Art der Musik, die man dort studieren konnte (Pop, Kirchenmusik, traditionelle Musik…). Ich wollte einfach auf jeden Fall weiter Musik machen und lernen.

Wahrscheinlich kann sich jeder jetzt vorstellen, was mein Vater gesagt hat, als ich ihm eröffnete, dass ich Musik studieren möchte…
Als ich meine Abitur-Ergebnisse bekam und sah, dass ich bestanden hatte war ich super glücklich und freute mich riesig, dass ich nun meinen Traum von einem Musikstudium bald erfüllen könnte. Als ich meinen Eltern direkt am Tag danach von meinen Abiturnoten und meinen Studienplänen erzählte, sagte mein Vater direkt: „Was denkst du dir? Ich verstehe dich überhaupt nicht! Denkst du, du bist eine gute Musikerin oder was?“ Und es kamen noch mehr Fragen. Bis heute kann ich nicht vergessen, dass mein Vater sagte: „Sogar die Straßenmusiker können besser als du Gitarre spielen!“ Automatisch liefen mir die Tränen herunter und ich konnte meinem Vater nicht widersprechen. Er sagte weiter: „Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Wie denkst du kannst du später leben? (wie verdienst du dein Geld, wenn du nur Musik spielst?) Was willst du denn werden, wenn du Musik studierst?“ Damals wurde Musik noch nicht als Profession gesehen, als etwas, das man hauptberuflich macht. Der Trend war damals Staatsbediensteter zu werden, um ein sicheres Einkommen zu haben. Überall wo ich bis dahin aufgetreten war hatte ich nie Geld bekommen, meistens gab es höchstens ein „Danke“. Wenn ich jetzt darüber nachdenke hatte mein Vater damals also schon recht. Am Schluss fragte mein Vater, warum ich nicht Theologie studieren würde – die meiste Musik, die ich machte, machte ich auch in der Kirche.

Danach sprach ich nicht mehr mit meinem Vater über meine Studienwünsche. Ich ging zurück zum Haus meiner Oma, wo ich zu der Zeit lebte, weil der Weg zur Schule von dort viel näher warm, und bereitete alleine alle Dokumente vor, die ich brauchte, um auf Bali Musik zu studieren.

Zwei Wochen bevor ich nach Bali aufbrechen wollte kam mein älterer Bruder zum Urlaub nach Hause (er studierte gerade in Jogyakarta) und sagte, dass ich ihm in zwei Wochen nach Jogyakarta folgen werde – mein Vater hatte schon Schifftickets für uns beide gekauft (Damals musste man noch 1 ½ Tage mit dem Schiff von Ost-Sumba nach Bali fahren und dann mit dem Bus ca. 26-28 Stunden weiter nach Jogyakarta).

Ich erschrak und musste ein paarmal tief durchatmen… aber ich sagte kein Wort, ich wollte nicht wieder mit meinem Vater diskutieren – ich wusste ja, dass er nicht einverstanden war, dass ich Musik studieren wollte und, dass ich ohne sein Einverständnis die Unterlagen vorbereitet hatte.

Mein Vater hatte meinem Bruder schon erzählt, dass ich Musik studieren möchte und er nicht damit einverstanden ist. Er hatte meinem Bruder gesagt, dass wir gemeinsam nach Jogyakarta gehen sollten und mein Bruder mir helfen sollte, einen geeigneteren Studienplatz zu finden.

Etwas machte mich aber entspannter: mein Bruder sagte zu mir, ich solle einfach mitkommen, wir würden dann eine Hochschule für Musik in Jogyakarta suchen und wenn wir keine finden würden, würde mein Bruder mich nach Bali begleiten (ohne es meinem Vater zu sagen).

Als wir schon ein paar Tage in Jogyakarta waren, bekamen wir von einem Nachbarn die Information, dass es in Jogyakarta zwei Musikhochschulen gab: Man konnte allgemeine Musik am Institut für Kunst studieren und Kirchenmusik an der Christlichen Immanuel-Universität (UKRIM). Der Nachbar begleitete mich dann zu beiden Hochschulen.

Ich machte dann den Eignungstest an der UKRIM, zuerst ein allgemeiner Test, dann praktische und theoretische Musikprüfungen. Es gab zwei Dozenten – einen Mann und eine Frau -, die die Prüfungen durchführten. Ich wurde zunächst in Solfeggio getestet (eine Tonlehre, die durch Übungen in Musiktheorie, insbesondere Notenlehre, Gehörbildung und Gesang dazu befähigen soll, eine Partitur zu spielen oder zu singen). Der Dozent sagte, das hätte ich gut gemacht. Dann fragte die Frau, ob ich Noten lesen könne.

Ich sagte sofort, ohne lange nachzudenken, ja… Q$%%%////:(

Ich bekam dann ein Notenbuch und sollte eine bestimmte Seite aufschlagen. Die Frau sagte, ich hätte 5 Minuten Zeit, um mich vorzubereiten und sollte dann das Lied auf der Seite vorsingen. Nach 5 Minuten sollte ich dann singen… ich war aber ganz still, ich konnte ja überhaupt keine Noten lesen… die Frau fragte mich, warum ich so still sei und ich sagte ihr, dass ich keine Noten lesen könne – ich könne nur indonesische Noten lesen (wir verwenden in Indonesien ein spezielles Notensystem mit Zahlen, nicht mit Notenköpfen. Ihr könnt oben ein Beispiel sehen). Die Frau gab mir also ein Buch mit indonesischen Noten und sagte mir ich solle mich 5 Minuten vorbereiten und dann das Lied vorsingen. Aber auch danach war ich wieder ganz still und brachte kein Wort heraus. Die Dozentin fragte mich, was das Problem ist, warum ich nicht singen würde. Ich sagte, ich kenne das Lied nicht. Aber ich hatte doch gesagt, dass ich indonesische Noten lesen könne. Ich sagte ihr, wenn ich das Lied kenne, dann kann ich automatisch die Noten dazu lesen und gab ihr ein Beispiel.

Man kann sich vorstellen wie komisch die Situation war – wäre jemand anderes im Raum gesessen hätte er vielleicht laut über mich gelacht, wie blöd ich mich anstelle. Aber die beiden Dozenten haben mich weder ausgelacht noch sich über mich lustig gemacht oder mich vorgeführt, aber sie haben mich motiviert, immer weiter zu lernen und zu üben. Der Dozent sagte, ich soll immer weiter fleißig lernen und sollte nie aufgeben und daran denken, mich nie mit anderen zu vergleichen, die vielleicht schon besser Instrumente spielen oder Noten lesen können.

Als ich aus dem Raum ging war ich mir sicher, dass ich nicht angenommen werden würde, weil ich so viele Fehler gemacht hatte und weder westliche noch indonesische Noten lesen konnte – ich hatte nur praktische Erfahrung beim Singen in der Kirche und bei anderen Gelegenheiten.

Am nächsten Tag musste ich einen Bibeltest machen (weil bei der Fakultät für Kirchenmusik auch automatisch ein Teil Theologie gelernt wurde – im 1.-4. Semester 60% Theologie und 40% Musik, im 5.und 6. Semester 40% Theologie und 60% Musik, dann im 7.und 8. Semester 100% Musik).

Noch am selben Tag um 13 Uhr bekamen wir einen Umschlag mit dem Ergebnis – ich öffnete meinen sofort und hüpfte vor Freude, als ich las, dass ich angenommen wurde, die Freudentränen, die mir über die Wangen liefen spürte ich garnicht mehr. Ein wenig später sah ich die Dozentin, die mich getestet hatte und ging direkt zu ihr um zu fragen, warum ich angenommen wurde, obwohl ich beim Test so schlecht abgeschnitten hatte. Sie sagte mit einem Lächeln: „Du musst wissen, dass wir anders als andere Universitäten sind, wir suchen nicht die, die bereits super Musiker sind oder schon toll Instrumente spielen, sondern wir möchten mit einfacher Musik diejenigen berühren, die uns zuhören. Du kannst nur noch nicht  Noten lesen und weißt noch nicht viel von Musiktheorie, aber genau deshalb bist du hier richtig, wenn du schon alles könntest müsstest du ja hier nichts mehr lernen.“

Ich habe durch diese Antwort gemerkt, dass ich alles durch die Gnade Gottes bekommen habe, ich werde nie aufhören, ihn zu preisen.

Danach rief ich sofort meinen Vater an und erzählte ihm, dass ich bei der Musikuniversität angenommen wurde, aber dass man dort nicht nur Musik, sondern auch Theologie lernte. Von da an akzeptierte mein Vater mein Studium, weil es nicht ganz aus Musik bestand und mein Vater mir empfohlen hatte, Theologie zu studieren.

Ich möchte diesen Artikel mit folgendem Vers aus 1. Korinther 2:9 abschließen: „Was kein Auge jemals sah, was kein Ohr jemals hörte und was sich kein Mensch vorstellen konnte, das hält Gott für die bereit, die ihn lieben.“

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